Das Mocro Mafia Märchen

Die Rauschgifthändler haben sogar schon eigene Fernsehserien, in denen das kriminelle Geschäft romantisiert wird. Die Prohibitionsfetischisten in der Tradition des Harry Anslinger greifen diese Narrative auf und versuchen, sie aus dem Reich der Fiktion in die "gefühlte Realität" zu zerren, um ihre kruden Forderungen nach weiterer Prohibition zu dramatisieren. Ist das nach einhundert Jahren eigentlich noch zeitgemäß?


Mocro Mafia
Im Bild: Ein gewisser Herr Nieuwenhuis, der erste Kartellboss in den Niederlanden 1928

Seit gut einhundert Jahren ist die weltweite Prohibitionsbewegung aktiv und verbietet munter Rausch- und Genussmittel. Substanzen wie Heroin, Kokain und auch Cannabis waren lange Zeit legal. Man konnte sie einfach in Apotheken kaufen. Besonders Diamorphin (Heroin) erfreute sich Ende des 19. Jahrhunderts größter Beliebtheit, nachdem deutsche Pharma- und Chemieunternehmen aus Rohopium marktfähige Produkte derivierten. Bayer ließ sich 1898 den namen HEROIN für sein Diacetylmorphin schützen und brachte es als Hustenmittel (auch für Kinder) frei verkäuflich auf den Markt. Bereits seit 1827 vermarktete Emanuel Merck (den Namen kennt man noch aus der 70er-Reklame "Merck's Spezialdragees") das ältere MORPHIN, welches der Paderborner Apothekergerhilfe Friedrich Sertürner aus Opium gewonnen hatte. Wir sehen, im Erfinden von Waffen, Maschinen und Rauschgiften waren die Deutschen schon immer recht umtriebig. Wie schrieb Paul Celan zum Ende des Zweiten Weltkrieges so treffend?

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland

Heroin, Chrystal Meth, Amphetamin, Kokain, Flex (MDPV) - ausnahmslos deutsche Erfindungen. Ja, auch das gute alte, kriegserprobte Fliegermarzipan, das der erste Bundeskanzler der BRD dem Vernehmen nach in äußerst ungesunden Mengen konsumierte, ist etwas Urdeutsches wie das Bockbier. Der Herr Hitler hat sich damals die Nase mit Andenschnee auspinseln lassen, der Minister der mächtigen Luftwaffe war ein leidenschaftlicher Morphinist, ach, und noch heute fallen immer wieder gesellschaftliche Funktionsträger im konservativen Lager auf, die sich zum Zwecke der Leistungssteigerung exzessiv dem Konsum berauschender Mittel hingeben, die nicht ganz so legal sind wie Bier und Doppelkorn.

Und genau DIESE Leute sind es erstaunlicherweise, die durch ihr politisches Handeln dafür Sorge tragen, dass der Schwarzmarkt nur ja schön am Start bleibt. Das ist grotesk!

Nachdem man festgestellt hatte, dass dieses Heroin dann wohl doch nicht so nebenwirkungsarm war wie vermutet, kam Bayer etwas in die Bredouille, denn heroinabhängige Kinder und süchtige Asthmatiker warfen doch recht dunkle Schatten auf den Kernbetrieb der IG Farben. Am 19. Februar 1928 wurde in der zweiten Opiumkonferenz in Genf dann ein international gültiges Opiumabkommen beschlossen, das am 25. September des Jahres in Kraft trat. Damit war Heroin außerhalb staatlicher Regelementierung verboten. 1931 dann stellte Bayer die Produktion ein.

Das warf für abertausende Benutzer echte Probleme auf, denn ihr bislang legaler Dealer in der Apotheke lieferte nicht mehr, nichtmal gegen ärztliche Verschreibung. Guter Rat war teuer (im Wortsinn). Eine echte Nachfrage bleibt nie ohne Angebot, das kannte man ja schon von der amerikanischen Alkoholprohibition von 1920. Damals wurden in amerikanischen Großstädten von Mobstern wie Capone, Maranzano, Luciano, Lansky, Rothstein u.v.a. mit der illegalen Ware Millionengewinne eingefahren, die Kriminalität explodierte förmlich und Tausende verloren ihr Leben durch gestreckten Billigfusel. Klingelt da was, lieber Leser?
 
Tatsächlich war 1928 in Sachen Pulverware ein Schicksalsjahr, in dem sich alles änderte. Noch bevor die berühmte "French Connection" so richtig in Gang kam, hatte ein (!) anderer geschäftstüchtiger Mensch schon funktionierende Distributionswege am Start. Der Weg führt in die Niederlande. 

Heroin von Bayer

ORANJE SHORE

Schwarzmarkt - Wer hat's erfunden? Nein, diesmal waren es nicht die Schwyzer, obschon die später auch mit Hustenbonbons gedealt haben, aber das war wohl legal. Nein, der Beginn des europäischen Rauschgiftschmuggels erblickte in der niederländischen Provinz das Zwielicht des Tages, und zwar in Naarden bei Amsterdam. Und da kommen wir zu der Person, deren Konterfei wir auf dem Titelbild des Artikels sehen.

Ein gewisser F.M. Nieuwenhuis, 1928 bei der Chemischen Fabriek Naarden (Duftstoffe und Pharmazie) als Vertriebsleiter angestellt, kontrollierte nämlich zu diesem Zeitpunkt bereits etwa die Hälfte des beginnenden, weltweiten Heroinschmuggels, indem er die Schmuggelware als "medizinische Produkte" deklarierte und über die Vertriebskanäle der Firma ohne das Wissen der Firmenleitung transportierte. Durch den weltweiten Handel der Firma besaß Nieuwenhuis besonders in Asien hervorragende Geschäftskontakte und in leitender Position konnte er seine "privaten" Lieferungen disponieren. Er besaß ein weiträumiges Netzwerk in der Levante, in Vorderasien, im Hindukusch und im Goldenen Dreieck, wo massiv Mohn angebaut wurde. Als im selben Jahr in der Ladung eines Schiffes mehr oder weniger zufällig 60kg Heroin gefunden wurden, fiel der Direktor aus allen Wolken.

Tatsächlich ist es unglaublich schwer, über den ersten Heroinschmuggler Daten im Netz zu finden. Es gibt nur ein einziges Foto von ihm und sehr vereinzelt taucht der Name in polizeilichen Akten auf. Auch Die Chemiefabrik hat seinen Namen offensichtlich aus der Firmenhistorie entfernt. Man hört auch aus späterer Zeit nichts mehr von ihm. Fakt ist jedoch, der feine Herr Nieuwenhuis hat mit der Akribie eines holländischen Distributors den illegalen Heroinmarkt maßgeblich mit aufgebaut.

Die Niederländer sind von Haus aus gute Kaufleute, und so gedieh das neue Geschäft prächtig, große Mengen Heroin fanden den Weg ins Herz von Europa. Angelandet wurde in den Überseehäfen und von dort aus wurde das Material dann verteilt. Das blieb sehr lange Zeit, im Grunde bis heute, so. Inzwischen gibt es auch andere Routen, aber die Niederlande sind noch immer einer der europäischen Hauptumschlagsplätze.

In den Siebzigern kam dann Haschisch und etwas Gras in den Markt, über Marokko wurden größere Mengen nach Europa geschleust. Abnehmer waren vorwiegend Angehörige der Hippie- und Studentenbewegungen, sowie anderer Subkulturen. Mit Hasch konnten die Dealer Geld verdienen, aber nur in einem recht begrenzten Rahmen. Oft wurde das Haschisch von Marokkanern, die in den Niederlanden lebten, aus dem Urlaub mitgebracht. Damals reiste man mehr mit Autos als mit Flugzeugen und die Kontrollen waren eher lasch.

Bis in die Achtziger versprach Heroin den meisten Gewinn, durch die Kriege der Sechziger und Siebziger in Asien fand es den Weg in alle westlichen Gesellschaften. Viele amerikanische Soldaten kamen heroinabhängig aus dem Krieg und Dealer verdienten sich eine goldene Nase.

A propos ... Ende der Achtziger änderte sich der Markt. Aus Südamerika kamen plötzlich erhebliche Mengen an Kokain vorwiegend per Schiff nach Europa. Die Marokkaner, die den Rauschmittelhandel mittlerweile dominierten, erkannten das Marktpotenzial dieser Droge und stiegen voll ein. Sie nutzten ihre alten Haschischrouten, um die neue Droge nach Europa zu bringen.

Mocro Maffia

Der 1977 geborene Marokkaner Ridouan Taghi kam mit 3 Jahren in die Niederlande, bereits in frühen Jahren war er ein Gangmitglied, später handelte er mit Haschisch, wurde gewalttätig und auffällig. Dann gab es in seinem Leben eine ruhige (unbelegte) Zeit und 2009 meldete er sich ab. Man geht davon aus, dass Taghi der Prototyp des Mocro-Mobsters war und die Ermordung von Konkurrenten befahl. Die Mocro-Maffia (niederländisch mit 2 "f") wurde gegründet. 2012 dann eskalierte die Situation, als im Hafen von Antwerpen eine ziemlich große Ladung Kokain verschwand, die verschiedenen Banden bezichtigten sich gegenseitig und ein äußerst brutal geführter Bandenkrieg begann. Angeblich gab es über 30 Morde in dieser Sache, die auch als Mocro-Oorlog (Marokkanerkrieg) bezeichnet wurde.

Am 06. Juli 2021 dann gipfelte die Gewaltserie in der Ermordung des prominenten Crime-Journalisten Peter de Vries am hellichten Tag auf offener Straße. Umfangreiche Ermittlungen wurden eingeleitet und man förderte ein straff organisiertes System der Gewalt zu Tage. Die Banden hatten eigene "Vollstrecker", Spezialisten für Sprengstoffanschläge und sogar eine Art "Folterkammer", ein Lagerhaus, in dem isolierte Seecontainer standen, in die man Kettenfesseln und sogar eine Art Zahnarztstuhl montiert hatte. Tatsächlich wurde dieser Folterstuhl nie benutzt, es wird sogar gemunkelt, dass der Standort des Stuhls und die Location absichtlich duchgestochen wurden, um eben die Medienbilder zu erzeugen, die es dann ja schließlich auch gab. So versuchte man evtl. psychischen Duck auf die Konkurrenz oder mögliche Zeugen auszuüben.

Mocro Maffia

Die Bilder von gesprengten Geldautomaten, getöteten Kriminellen und Zeugen, Rechtsanwälten und anderen Menschen, die mitunter einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren, gingen um die Welt. Nun fielen die Bandenkriege in den Niederlanden zufällig in eine Zeit, in welcher in Deutschland für die Legalisierung von Cannabis geworben wurde, zumindest stand ein Gesetz zur Teilentkriminalisierung im Raume. Was lag da für die Prohibitoren näher, als das Geschehen in den Niederlanden 1:1 als Narrativ eines furchteinflößenden Drohszenarios zu kopieren? Und so kamen mehr oder weniger schlaue Leute auf die Idee, z.B. einen Bandenkrieg in Deutschland wegen einiger Kilo Weed einfach der niederländischen Koksmafia zuzuschreiben.

Deutsche Rechtskonservative, die nach der Teilentkriminalisierung von Cannabisnutzern durch das KCanG und nach dem Bruch der Ampelkoalition in den Wahlkampfmodus umschalteten, überboten sich nun in den Medien mit Schilderungen von brutalsten Mocromafiakriegen, die "wegen der Legalisierung" jetzt auf Deutschland übergreifen würden und Leid, Schmerz und Tod über die Bevölkerung zu bringen versprachen. Vorwiegend Poltiker und so-called Polizisten, die in Wahrheit Gewerkschaftsfunktionäre waren, traten vor jede sich bietende Kamera und predigten den Psalm von der Mocro Mafia, so ging das tagein, tagaus auf allen Kanälen. 

Einhellige Forderung: Man müsse die sogenannte "Legalisierung" sofort rückgängig machen! Weil nämlich dann die bösen, bösen Marokkaner aus Deutschland wegfahren und ihre schlimmen Drogen mitnehmen, denn die sind ja dann verboten.

Ja. So simpel und durchschaubar kann eine Kampagne gestrickt sein, um deutsche Wählerstimmen einzufangen. Trotzdem das Bundeskriminalamt diese steilen Thesen der kameraaffinen Politiker längst dementiert hatte und von einer Mocro-Story nicht wissen wollte, ging die Lügerei weiter. Und es waren (sind z.T. noch immer) LÜGEN, denn alle Funktionsträger waren über die Erkenntnisse informiert, sprachen also darüber wider besseren Wissens. Selbst als herauskam, dass der Vorzeigefall, ein Cannabisdiebstahl in größerer Menge, Teil einer Auseinandersetzung von Kölner Banden war und nichts, aber auch gar nichts mit den Marokkanern zu tun hatte, wurde das Narrativ aufrechterhalten. Sogar im Oktober 2024 wurde von CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag angefragt, wie schlimm die "(Teil-) Legalisierung" sei und was  die organisierte Kriminalität damit zu tun hätte. Gute Güte! Lesen diese Abgeordneten denn keine Zeitung?

Lesetipp: Fourtwenty hat dieser lächerlichen Aktion bereits einen lesenswerten und faktenbasierten Artikel gewidmet, und zwar diesen hier:
https://fourtwenty.wtf/index.php/beitraege/legalisierung/drogenkrieg-in-deutschland-wegen-cannabis-legalisierung

Es wird also vorsätzlich das Märchen von der Mocro Mafia verbreitet, wider besseren Wissens und wider jeder Vernunft. Man ist sich nicht zu schade, gegen harmlose Cannabisnutzer mit Lügen und Fakenews vorzugehen, um die eigene Reprohibitionsagenda durchzubringen. Aber was für eine Gesellschaft ist das, die ausschließlich mit Lügen "argumentiert"? Die Regierung fordert vom Bürger Vertrauen ein, mit welchem Recht?

Der Bürger weiß eigentlich, wie sinnlos Prohibition ist, dennoch: in Blockbustern wird die organisierte Kriminalität der Mobster gefeiert und deren Mordgier auch noch romantisiert. Man fordert die Abschaffung der Entkriminialisierung und unterstützt damit aktiv die Schwarzmarkthändler. Das lässt sich ja gerade beim Cannabis beobachten. Doch das Gras, das Deutsche konsumieren, ist nicht die wirkliche Gefahr. Immer neue chemische Designerdrogen mit immer gefährlicheren Wirkstoffen kommen laufend in den Markt und das schneller, als man sie verbieten kann. 

Noch einmal: Prohibition verhindert nicht den Handel mit Rauschmitteln jeder Art.

LÖSUNGEN

Was soll man tun? Alles erlauben und mit den Folgen leben? Oder alles verbieten und dem Markt enziehen?

Statement eines Mitarbeiters aus 35 Jahren Präventions- und Akutberatung.

Grundsätzlich sehe ich nicht dass das Eine das Andere ausschließt. Der Mensch ist ja dem Grunde nach ein vernunftbegabtes Wesen, was er nicht selten gut zu verstecken weiß, wenn man sich z.B. unser Parlament anschaut. Rauschmittel gab es schon immer und es gab schon immer Menschen, die sich berauschen. Die Unterscheidung in Freigabe und Prohibition ist ein wenig wie in der Musik: Country oder Western. Tatsächlich können wir beides. Gleichzeitig.

Ich denke, dass eine grundlegende Wahlfreiheit im Rahmen der Volllegalisierung die mächtigste Waffe gegen den Schwarzmarkt ist. Selbst mit Kokain und sogar mit Heroin ist ein halbwegs vertretbarer freier und schadarmer Umgang möglich. Nutzen tun es die Menschen so oder so, egal wie verboten es ist. Da ist es doch eher sinnvoll, die deutsche Bürokratie auf die Waren-Qualitätskontrolle loszulassen, statt die Polizei harmlosen Nutzern in den Achtersteven leuchten zu lassen, um sie bestrafen zu können. Klar, einen Rest-Schwarzmarkt wird es immer irgendwie geben (ist bei jetzt legalen Rauschmitteln ja auch so), aber ich behaupte mal, weit über 90% Schwarzmarkt lassen sich binnen 12 Monaten eliminieren.

Das erfordert allerdings eine strikte und durchaus regulierte Markttrennung. Sämtliche Rauschmittel gehören - nach Wirkstoffen getrennt - in spezielle Fachgeschäfte mit sachkundigem Personal. Schnaps in den Liquorshop, Kippen in den Tabakwarenladen (wie früher), Hasch in den Headshop, Boyz 'n' Girlz (also, die Chemie) in die Apotheke. Zugang strikt begrenzt ab 18 für Konsumenten, die nachweisen, dass sie eine Präventionsberatung aufgesucht haben.

Zeitgleich bedarf es einer extrem ausgeweiteten Beratungspraxis und zwar flächendeckend. Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, binnen kurzer Zeit eine qualifizierte Beratungsstelle aufzusuchen, ohne deswegen stigmatisiert zu werden. Würde ich auch nicht "Suchtberatung" nennen, sondern eher "Konsumberatung" (Substanzen) oder "Fokusberatung" (nicht stoffgebundene Abhängigkeiten). Und natürlich Drugchecking in den Beratungsstellen. Präventionsprogramme müssen in allen Schulen spätestens ab der siebenten Klasse regelmäßig angeboten werden.

Außerdem bedarf es einer massiven Investition in Rehabilitierungsprogramme, in denen sich Menschen, die den Konsum nicht aus eigener Kraft beenden können, direkt und ohne Warteschlangen einer Entgiftung, Entwöhnung und Therapie unterziehen können. Solche Angebote könnten künftig kostenextensiver sein als die aktuellen gesellschaftlichen Folgekosten unbegrenzter Sucht, allein bei Alkohol und Niktotin bis zu 100 Mrd. €/a.